Winterzauber

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Winterzauber

Die Welt ist blass als hätte ihr jemand die Farben aus dem Gesicht gewischt. Wie gepudert sieht sie aus und gleichzeitig wie verzaubert, wenn Eisblumen an den Fenstern blühen, Millionen und Abermillionen Sterne im frisch gefallenen Schnee glitzern und im Sonnenlicht bläulich schimmernde Eiszapfen von den Dächern herunter wachsen. Weiße Tage. Weiße Nächte. Leider gibt sich der Winter nicht immer so strahlendweiß. Oft kommt er Grau in Grau und etwas angeschmuddelt daher, die Straßen patschnass und von Schmutzrändern gesäumt, die Wege aufgeweicht und matschig. Kaum aber melden sich die Minustemperaturen und der Sonnenschein zurück, hüllt sich die Welt wieder in winterliches Weiß. Durchsichtig und wie erstarrt sieht sie aus. Und wir, die wir die Kälte nicht scheuen, fühlen uns wohl in dieser Winterwunderwelt, die von so bezwingender Schönheit und makelloser Reinheit ist. Mollig warm eingepackt, mit Mütze, Schal und Handschuhen, gehen wir auf tief verschneiten Wegen, Wegen, die jedes Geräusch dämpfen, auch das unserer Schritte, und die dafür sorgen, dass wir in dieser weißen, weiten Stille ein Gespür für die leisen, unaufgeregten Töne entwickeln. Dabei entpuppt sich der Schnee als fröhlicher Gestalter und Modellierer. Mit Leichtigkeit lässt er Dinge verschwinden, glättet Strukturen, bildet Hauben und Polster. Wintereinsamkeit. Winterglück. Zu einem meiner unvergesslichen Erlebnisse im Schnee gehört eine Begebenheit, die ich als „coole Performance“ bezeichnen würde. Als Happening der besonderen Art.

Traumspiel

Es war ein kalter, sonniger Morgen. Gleich nach dem Frühstück hatte ich das Haus verlassen und war, wie so oft, zu einem Spaziergang auf den Rochusberg aufgebrochen. Der Himmel über den verschneiten Weinbergen lächelte in einem tiefen, satten Blau. Wie ein Zuckerbäcker hatte der Frost die Nacht durchgearbeitet und nichts, aber auch wirklich gar nichts ausgelassen. Jeden einzelnen Rebstock hatte er mit seinem kalten Atem in ein filigranes Kunstwerk verwandelt, sogar die Drähte wie kostbare Perlenschnüre mit Eis ummantelt. Bilder wie aus einer Traumfabrik. Ich lief weiter als gedacht an jenem Morgen, langsam, Schritt für Schritt, immer weiter auf unberührten, weißen Wegen, die nur ab und zu die Spur eines Tieres zeigten. Ich war allein. Weit und breit keine Menschenseele zu sehen. Und es war still, wunderbar still. Zeit zum Nachdenken, Zeit zum Träumen. Tief in Gedanken versunken erreichte ich den Rand eines Feldes, auf dem im Frühjahr und im Sommer leuchtend gelb der Raps blühte. Jetzt, da es in seinen wohlverdienten Winterschlaf gefallen war, hatte es sich in eine makellos weiße Fläche verwandelt. Eine Art glänzendes Parkett, bei dessen Anblick ich wie angewurzelt stehen blieb, fühlte ich mich doch plötzlich wie Alice im Wunderland. Es war, als würde ich die Welt mit den staunenden Augen einen Kindes wahrnehmen. Denn auf der blütenweißen Fläche tanzten drei Luftballons im Sonnenlicht. Drei blutrot leuchtende Herzen, die aussahen, als seien sie geradewegs vom Himmel gefallen, ein Spielzeug für den Wind, der sich kaum rührte an diesem Morgen, sich aber einen Spaß daraus machte, die Ballons wie in Zeitlupe vor sich herzutreiben. Welch ein Schauspiel! Welche Magie! Anmutig wie Tänzerinnen bewegten sie sich über das puderzarte Weiß, schwebten aufeinander zu, drehten sich im Kreis, berührten sich und strebten wieder auseinander. Dabei warfen sie rosige Schatten, schienen von innen heraus zu glühen. Drei Herzen im Dreivierteltakt, schoss es mir durch den Kopf, während ich sie beobachtete, die etwas so Müheloses und Federleichtes hatten, etwas so Meditatives, zutiefst Stilles und Friedliches, von vollkommener Schönheit und Harmonie Getragenes. Ich weiß nicht, wie lange ich dort gestanden und diesem winterlichen Traumspiel zugeschaut habe, ich weiß nur, dass ich wie verzaubert war und ein tiefes Glück verspürt habe, das Gefühl, durch die tanzenden Herzen für Augenblicke mit der ganzen Welt verbunden zu sein.

Wachsam sein

Ich glaube, dass es dem Leben gefällt, uns immer wieder mit Augenblicken zu überraschen, die voller Leichtigkeit und Poesie sind. Augenblicke, die uns bei aller Flüchtigkeit dennoch in der Tiefe berühren. Die uns beseelen, vielleicht sogar andächtig machen, unser Herz öffnen und uns Lebensfreude schenken. „Gespürtes Leben“, nenne ich das. Viel zu oft allerdings, so scheint es mir, nehmen wir diese kostbaren kleinen Geschichten gar nicht wahr. Wir übersehen sie, eilen daran vorbei, weil wir mit allem möglichen beschäftigt sind, nur nicht mit der nötigen Achtsamkeit. Weshalb es guttun kann, sich ab und zu an den hellwachen Blick von Kindern zu erinnern. Die Buddhisten sprechen vom „Anfänger-Geist“, den es zu schulen gilt. Ein Ausdruck, der mir gefällt. Auch im fortgeschrittenen Alter können wir üben, zu unseren Anfängen zurückzukehren, können versuchen, uns mit neugierigen, offenen Augen durch die Welt zu bewegen. Gerade bei Spaziergängen lässt sich wunderbar ausprobieren, wie es sich anfühlt, mit allen Sinnen gegenwärtig zu sein. Wachsam zu sein, mit geschärfter, vollkommener Aufmerksamkeit zu gehen, anstatt sich – wie so oft – ausschließlich auf den Verstand zu konzentrieren, seine ständig ratternden Gedanken. Letztlich habe ich mir eine Postkarte gekauft, auf der in bunten Lettern geschrieben steht: „Leben ist das mit der Freude und den Farben. Nicht das mit dem Ärger und dem Grau.“

Stimmt haargenau! Weshalb wir versuchen sollten, durchlässiger zu werden für das Unerwartete, das Zauberhafte. Alle diese Augenblickswunder, diese kleinen Geschichten am Wegesrand, die flüchtig sind, uns aber dennoch daran erinnern, dass das Leben ein Fest ist, eine Quelle der Schönheit und der Freude.

Schlussgedanke: „Die wahre Lebensweisheit besteht darin, im Alltäglichen das Wunderbare zu sehen.“ Pearl S. Buck

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