Text lieber hören,
Aufgeräumt ins neue Jahr
Da ich Klarheit und Einfachheit liebe, starte ich gern aufgeräumt ins neue Jahr. Obwohl ich nicht zu den Menschen gehöre, die lustvoll Dinge anhäufen, bin ich immer wieder erstaunt, was sich auch bei mir im Laufe von zwölf Monaten so alles angesammelt hat. Welche unerwarteten „Schätze“ ich auf meinen Streifzügen durch Schreibtischschubladen, Schränke und Bücherregale entdecke. Nun gibt es Menschen, die das Anhäufen und Besitzen von so Allerlei und Vielerlei zutiefst glücklich macht. Ich selbst gehöre nicht zu dieser Spezies. Gar zu viel von allem, so mein Gefühl, raubt mir Aufmerksamkeit und Energien. In Richard Wagners „Rheingold“ haust der Riese Fafner mit seinem erbeuteten Nibelungenschatz am Ende in einer Höhle. Auf Siegfrieds Frage, was er denn den lieben lang Tag so treibe, antwortet er: „Ich liege und besitze.“ Ein Konzept, das mich nie überzeugt hat. Aus dem einfachen Grund, weil ich nicht den Dingen, vielmehr dem Leben meine Aufmerksamkeit schenken möchte. Deshalb übe ich mich Jahr für Jahr in der hohen Kunst der Reduktion, der äußeren Entschlackung. Ich trenne mich von Überflüssigem, sortiere aus, werfe weg, verschenke. Manchmal lege ich das, was ich nicht mehr haben will, einfach auf die Straße und freue mich, wenn es innerhalb kürzester Zeit Interessierte findet. Für mich ist dieses Ritual des „Weniger ist mehr“ ein Akt wohltuender Befreiung. Eine wiederkehrende Erinnerung daran, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Natürlich besitze ich trotzdem auch einiges von dem, was der Kölner als „Nippes“ bezeichnen würde. Überflüssiges, das mir zutiefst wichtig ist. Herzensdinge, die ich in meiner Nähe haben möchte, weil sie mir das Gefühl von Vertrautheit und Geborgenheit vermitteln. Wohl jeder hat sie, diese ganz persönlichen Gegenstände, die emotional besetzt sind und deshalb wohltuende „Nestwärme“ verbreiten. Manche begleiten uns über Jahre oder Jahrzehnte hinweg. Sie anzuschauen oder auch zu benutzen, bereitet Freude, weil sie mit Erinnerungen und guten Gefühlen aufgeladen sind. Auch Kleidungsstücke können dazu gehören. Letztlich erzählte mir eine Bekannte, sie habe ihren Kleiderschrank durchforstet und alles, was sie nicht mehr anziehen wollte, zu Oxfam (das ist eine internationale Nothilfe– und Entwicklungsorganisation) gebracht. Als sie einige Zeit später selbst in dem Laden herumstöberte, kaufte sie, ohne es sofort zu bemerken, eine ihrer aussortierten Lieblingsblusen zurück. Was sie zu der Erkenntnis bewog, dass die Geschichte, die sie mit dieser Bluse verband, wohl doch noch nicht in fremde Hände gehörte.
Der Blick in den Rückspiegel
Bei aller Sympathie für das, was uns froh stimmt, sollten wir uns aber nicht ausschließlich mit Dingen der Vergangenheit umgeben, nicht ständig in den Rückspiegel schauen. Ich kannte eine alleinstehende, sehr wohlhabende Dame, die von ihren Erinnerungen regelrecht „umstellt“ war. Beinah alles in ihrem großen Haus lenkte die Aufmerksamkeit auf ein Gestern, ein „Es war einmal“. Weshalb auch ihre Gespräche mit Vorliebe in diese Richtung abglitten. Diese Dame beklagte sich jämmerlich darüber, einsam zu sein. Was mich, ehrlich gesagt, nicht wunderte, schien doch die Pflege ihres „Museums“, besser noch, ihres „Mausoleums“, ihr wichtiger zu sein als das anklopfende Leben. Für mich war sie eine Reiche, die erschreckend arm war.
Mit Grausen erinnere ich mich auch an alle die getrockneten Rosensträuße, die ich nach dem Tod meiner Mutter von den Wänden pflücken musste. Jede Menge traurige, kopfüber hängende Bouquets, die für irgendwelche schönen Momente standen. Verblasste und verstaubte Erinnerungen. Sich von solchen Dingen zu verabschieden, heißt nicht zwangsläufig, sich auch von den Erinnerungen zu verabschieden. Ganz im Gegenteil. Während meiner Studienzeit besaß ich einen goldenen Spiegel, den ein früh verstorbener Freund mir geschenkt hatte. Von Wohnung zu Wohnung war der Spiegel mitgereist, ich hatte ihn, wie man so sagt, in Ehren gehalten, weil er mich an jenen besonderen Menschen erinnerte. Irgendwann aber fiel mir auf, dass ich beim Anblick des kleinen, goldenen Spiegels weniger an die schöne gemeinsame Zeit dachte als vielmehr an den tragischen Tod meines Freundes, was mich ein ums andere Mal traurig stimmte. Weshalb ich mich eines Tages dazu entschloss, den Spiegel wegzugeben. Heute trage ich die Erinnerung an jenen Jugendfreund im Herzen. Dort, wo sie hingehört.
Die Schönheit der Bescheidenheit
Je älter ich werde, umso wohltuender empfinde ich einen minimalistischen Lebensstil. Mal ehrlich, wer braucht denn ernsthaft ein zweites Kaffee- oder Teeservice, das sich im Schrank die Porzellan-Beine in den Bauch steht. Oder die unendliche Vermehrung im Kleiderschrank, alle die vollgestopften Fächer und Regalbretter, die Zeitungsstapel, die sich wie Wanderdünen durch unsere Wohnung fortbewegen. Überfluss. Ein zutreffendes, wunderbar bildhaftes Wort. Dinge fließen über, strömen aus Schränken und Schubladen heraus, aus Kellern herauf und von Dachböden herunter, und schwappen uns vor die Füße. Zur Eindämmung genau dieser Fluten, kultiviere ich mein jährliches Reduktions-Ritual. So lebe ich bewusster, schaffe Platz für die wichtigen Dinge im Leben. Für das also, was Freude und Zufriedenheit bringt.
Schlussgedanke: „Der Weise, wandernd weite Wege, trägt mit sich, was er braucht. Alle Herrlichkeit sieht er. Aber besitzen will er nichts.“ (Laotse)
Ich bin beim Losslassen, Aufräumen und Abgeben. Das ist Schwerarbeit für längere Zeit. Ein Ende sehe ich noch nicht.
Aber für diese Unterstützung und diesen Anstoß vielen Dank
Ja, je nachdem wieviel sich angesammelt hat im Laufe der Zeit, kann das Minimieren Schwerstarbeit sein. Aber am Ende kommt dieses herrliche Gefühl von Leichtigkeit, das mir so gut gefällt. Danke vielmals fürs Feedback!🙏❤️