„Advent, Advent, ein Lichtlein brennt!“

Text lieber hören,

das ist hier möglich.

Text als Audiodatei

Wer den Text lieber hören mag,
klickt hier.

Für mich ist er eine besondere Zeit, der Advent, mit seinem Kerzenlicht, seiner frühen Dämmerung, seinen duftenden Plätzchen und der Atmosphäre freudiger Erwartung. Dass die Geschäftswelt auf Hochtouren läuft, stört mich nicht. Denn auch der Einkaufstrubel, die hell erleuchteten Innenstädte und die glitzernden Schaufenster gehören für mich zur Weihnachtszeit dazu. Wer außerhalb dieses Rummels nach Ruhe und Besinnlichkeit sucht, gehe in die Natur, die sich von der wilden Jagd nach Geschenken gänzlich unbeeindruckt zeigt. Im winterlichen Outfit lädt sie uns ein, in ihre Stille ein– und abzutauchen. Bei Tag, genauso wie in den kalten Nächten, in denen die Sterne so geheimnisvoll nah sind.

Türen zu öffnen ist ein alter Adventsbrauch. Denken wir nur an den Adventskalender, der uns spielerisch daran erinnert, uns mit jedem Tag und mit jedem Türchen, immer noch ein bisschen mehr zu öffnen. Allein dieser Symbolik wegen, liebe ich es, mir Jahr für Jahr einen in die Küche zu hängen. Öffne mich, dann öffne ich dich! scheint er mir zuzuflüstern. Es gibt ein Drama von Wolfgang Borchert, ein großartiges Stück Literatur, das den Titel trägt: „Draußen vor der Tür“. Es erzählt von einem Menschen, einem Hilfesuchenden, der nach der Rückkehr aus dem Krieg, verzweifelt an fremde Türen klopft. Türen, die sich ab und zu einen Spalt weit öffnen, so dass Hoffnung aufschimmert, die im nächsten Moment aber schon wieder erbarmungslos zugeschlagen werden. Und so bleibt er allein und in seinem Elend sich selbst überlassen, ein Ausgeschlossener, ein Ausgegrenzter, ein Ausgesperrter. Ein Mensch, draußen vor der Tür.

Aufeinander zugehen

Vielleicht ist gerade der Advent, diese Zeit des Aufmachens, des Sich-auf-den-Weg-Machens, eine gute Zeit, um spontan einmal einem Nächsten, einem lieben Mitmenschen, unsere Tür zu öffnen. Einem Freund, einem Arbeitskollegen, einem Nachbarn, wem auch immer. Einem Menschen auf jedem Fall, von dem wir meinen, dass ein Gespräch, ein Zusammensein ihm guttun würde, weil er Trost, Mitgefühl, Zuwendung oder einfach nur ein wenig Nähe braucht. Zeit, die wir anderen geben, das wissen wir alle, die gibt auch uns etwas. Warum nicht also eine gemütliche Tee– oder Kaffeestunde nutzen, um Brücken zu schlagen von Mensch zu Mensch, von Tür zu Tür. Gerade in der heutigen Zeit finde ich es so enorm wichtig aufeinander zuzugehen. Denn jedes offene Herz und jede aufgestoßene Tür verwandeln die Welt im Kleinen, machen sie dort, wo wir gerade sind, freudvoller und friedlicher. Und das nicht nur zur Weihnachtszeit! Aber wer weiß, vielleicht ist der Advent ja auch die richtige Zeit, uns selbst einmal auf den Weg zu machen, um anzuklopfen. Weil wir es sind, die ein offenes Ohr, Aufmerksamkeit, Anteilnahme oder die helfende Hand eines anderen brauchen. Wie wohltuend Hilfe ist, durfte ich erfahren, als ich, wegen eines Unfalls, mit Krücken durch die Stadt gehumpelt bin. Dass wildfremde Menschen mir zur Seite gesprungen sind, wenn ich eine Tür nicht öffnen konnte oder an der Kasse mit dem Einpacken nicht nachkam, war ein großartiges Gefühl.

Das Vollmondwunder

Zur Weihnachtszeit gehören für mich auch die Anekdoten vergangener Feste. Diese kleinen Freuden, die selbst nach Jahren noch, wie Lichter in unseren Herzen leuchten. Dabei fällt mir ein, was ich mir für meine beiden kleinen Neffen ausgedacht hatte. Ein Lebkuchenhaus in weißer Winterlandschaft sollte es sein. Keine Ahnung, wie lange ich an der Überraschung herumgebastelt habe, ich weiß nur, dass ich am Ende stolz darauf war, mit Zuckerguss regelrecht gezaubert zu haben. Die Kinder waren begeistert. Und auch mein Bruder staunte nicht schlecht über meinen Einfallsreichtum und trug das Kunstwerk später überaus vorsichtig zum Auto. Als meine Mutter und ich aus dem Fenster schauten, um zum Abschied nochmals zu winken, setzte er sich gerade ans Steuer. Ich erschrak. Und schon im nächsten Moment brüllte ich in die Heilige Nacht hinaus, und ich glaube, auch meine Mutter brüllte, aber die vorbeiratternde Straßenbahn verschluckte unsere Worte. Und so ließ er den Motor an und warf lachend eine Kusshand zu uns hinauf, die wir mittlerweile bis zum Bauchnabel aus dem Fenster hingen und wild gestikulierten. Keine Chance! Winkend fuhr er davon. Und besiegelte damit das tragische Schicksal meines ersten und letzten Lebkuchenhauses. Geduldig hatte es auf dem Autodach gestanden und darauf gewartet, genauso liebevoll wie die beiden Kinder verstaut zu werden. Und gewiss hatte es auch versucht, sich festzuhalten, als der Wagen plötzlich und unerwartet losgefahren war. Aber die Fliehkräfte in dieser Nacht waren eindeutig stärker gewesen. Uns so hatte es seinen Kampf vor unseren fassungslosen Augen in stiller Würde aufgeben und loslassen müssen. Ein kurzer Flug, ein Sturz in die Dunkelheit, ein nachfolgendes Auto …– Ende einer Winterlandschaft. Im Wagen war das Unglück rasch bemerkt worden. Und wie mein Bruder mir später erzählt hat, waren reichlich Tränen geflossen. Dann aber war ein kleines Wunder geschehen. Die Heilige Nacht damals war eine Vollmondnacht gewesen. Und meinem älteren Neffen war aufgefallen, dass der so dicke, runde Mond am schwarzen Nachthimmel trotz der schnellen Autofahrt nicht von seiner Seite wich. Und so hatte er mit fröhlicher Stimme in die gedrückte Stimmung hinein verkündet: „Wenigstens der Mond kommt mit.“

Blog abonnieren
Wenn Du informiert werden möchtest, sobald ein neuer Beitrag erscheint, melde Dich hier einfach für 0 Euro an. Neue Beiträge erscheinen ein bis zweimal pro Monat und gelegentlich zu besonderen Anlässen. Sobald Deine E-Mail bestätigt wurde, bekommst Du eine Nachricht bei einem neuen Beitrag.

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen
Consent Management Platform von Real Cookie Banner